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Stories – Trends

75 Jahre Comet – wie Comet eine bessere Zukunft erkundete

Vom Eisernen Vorhang ins Silicon Valley.

Als 1989 der Eiserne Vorhang fällt, verliert die Vakuum-Kondensatoren AG in Bern-Liebefeld, die Vorgängerin der Division Plasma Control Technologies, ihren Hauptkunden und muss sich neu erfinden. Die wegweisende Neuausrichtung führt sie in die Halbleiterindustrie im Silicon Valley.

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Die Kurzwellensendeanlage Wertachtal bei München wird im Kalten Krieg von ausländischen Radiosendern genutzt – viele davon Kunden von Comet. (Bild: Wikimedia Commons, User Zonk43)

Von weitem sieht die Kurzwellensendeanlage Wertachtal aus wie eine Raumstation auf einem fernen Planeten. Vor allem nachts, wenn gigantische Scheinwerfer die bis zu 127 Meter hohen Stahlgittertürme, die die Seilnetze für die Antennen tragen, beleuchten. Ein Bild wie bei Star Wars.

Radio mit politischer Mission

Wir schreiben das Jahr 1989. Noch befindet sich die Welt im Kalten Krieg, in dem die Kurzwellensendeanlage Wertachtal eine bedeutende ideologische Rolle spielt. Ihre 25 Antennen sind so stark, dass sie die ganze Welt erreichen – insbesondere die Länder des Ostblocks. Das machen sich westliche Sender wie die Deutsche Welle oder das amerikanische Radio Free Europe oder Voice of America zunutze, die mit ihren Botschaften von Freiheit und Wohlstand vom Wertachtal aus hinter den Eisernen Vorhang zielen. Und mittendrin im Wertachtal steckt Comet, deren Tochtergesellschaft, die Vakuum-Kondensatoren AG (VC), Rundfunksender aus aller Welt mit leistungsfähigen Kondensatoren und Spezialteilen beliefert. Die Kurzwellensendeanlage Wertachtal ist einer ihrer wichtigsten Kunden.

Weltmarktführerin für Grosskondensatoren

1965 hat Comet die Vakuum-Kondensatoren AG (VC) gegründet, um die schwankenden Umsätze in der Röntgenbranche auszugleichen. Seitdem hat sich das Tochterunternehmen zur Weltmarktführerin im Bau von Grosskondensatoren entwickelt. Ende der 1980er fertigt und verkauft VC Kondensatoren mit Leistungen von mehreren Hundert Kilowatt an Kunden wie ABB (Schweiz), AEG (Deutschland), Marconi (England) und Continental Electronics (USA). Das Geschäft läuft so gut, dass VC aus allen Nähten platzt, 1989 grössere Räumlichkeiten bezieht und am Ende des Jahres einen Rekordumsatz von über CHF 6 Mio. erzielen wird. Doch zu diesem Zeitpunkt ist die Welt bereits eine andere.

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Mauerfall in Berlin 1989 (Bild: Wikimedia Commons, Superikonsoskop)
Der Mauerfall als Wendepunkt – auch für Comet

Am 9. November 1989 fällt die Berliner Mauer und leitet das Ende des Kalten Kriegs ein. Damit verliert auch die Kurzwellensendeanlage im Wertachtal ihre politische Bedeutung. Fast alle Sender reduzieren ihren Betrieb oder stellen ihn in den nächsten Jahren ganz ein, bis die Anlage 2014 komplett gesprengt und abgerissen werden wird. Für Comets Tochtergesellschaft VC bedeutet die neue weltpolitische Situation einen empfindlichen Einbruch des Geschäfts, dem Höhenflug der 1980er-Jahre folgen wirtschaftlich schwierige Zeiten inklusive Kurzarbeit. Nur dank dem Industriegeschäft mit seinen niedrigen Margen kann sich VC über Wasser halten. Will man mit Vakuumkondensatoren in Zukunft Geld verdienen, müssen dringend neue Märkte erschlossen werden. Eine strategische Neuausrichtung steht auf dem Programm. Zielmarkt: USA.

Zweiter Anlauf in den USA

In den USA konnte Comet in der Vergangenheit noch nicht richtig Fuss fassen. “Der amerikanische Markt war schon damals sehr preisgetrieben”, erinnert sich Elektroingenieur Walter Bigler, “da konnten wir mit unseren teureren Top-End-Produkten im Volumengeschäft nicht mithalten." VC-Kondensatoren kosten oft das Doppelte von der US-amerikanischen Konkurrenz. Dass sie dafür auch bis zu fünf Mal langlebiger sind, scheint zweitrangig – vorerst.

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Über Walter Bigler

Für Walter Bigler, einen jungen Elektroingenieur, ist die weltpolitisch turbulente Zeit Ende der 1980er-Jahre auch persönlich voller Veränderungen. Eigentlich wollte er nach zehn Jahren bei der Vakuum-Kondensatoren AG (VC), einem Bereich der Tochtergesellschaft Comet Technik AG, neue Wege gehen. Das Angebot der Unternehmensleitung, künftig als Technischer Leiter von VC zu walten, ist aber zu gut, um es auszuschlagen. Bigler wird mehr als 40 Jahre lang im Unternehmen bleiben. Seit 2021 ist er im Ruhestand, als Mitglied des 10er-Clubs aber nach wie vor mit Comet verbunden.

Nun bietet sich eine neue Chance. Die Ironie der Geschichte will es, dass just im Jahr des Mauerfalls Machlett Laboratories an die Firma Varian verkauft wird. Seit 1954 produziert Comet Röntgenröhren unter der Lizenz von Machlett. Nun erlischt der Lizenzvertrag, und Comet darf eine eigene Niederlassung in den USA gründen, die 1989 in Norwalk, Connecticut, eröffnet wird. Von hier aus soll in Zukunft nicht nur das US-Geschäft mit den Röntgenröhren betreut werden, sondern auch ein zweiter Anlauf mit den Vakuumkondensatoren genommen werden. Das erhoffte Erfolgsrezept heisst Kundennähe.

Aufbruch ins Silicon Valley

1991 meldet sich ein Unternehmen aus dem Silicon Valley bei Comet. Dieses ist spezialisiert auf den Anlagenbau und das Trockenätzen für die Halbleiterindustrie, deren Microchips das Herz eines jeden Computers darstellen. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen, das heute zu den weltweit führenden Ausrüstern der Halbleiterindustrie zählt, immer wieder Probleme, weil Anlagen bei den Endkunden ausfielen. Grund waren fast immer defekte Vakuumkondensatoren – die angeätzten Wafer waren damit wertlos und Tausende Dollar verloren. Deshalb ist man auf der Suche nach hochqualitativen, absolut verlässlichen Kondensatoren – und wird bei Comet fündig. Nach einer mehrmonatigen Testphase ist es 1992 so weit. Die beiden Firmen treten in “fordernde, aber faire Verhandlungen”, wie sich Walter Bigler erinnert. “Sie wollten wissen, wie schnell wir wachsen können, wie flexibel wir sind, wie es um Service, Lieferfrist, Lieferbereitschaftsgrad und Beratung steht." Kurzum: Das Unternehmen will Comet als echten Partner, der mehr kann, als “nur” die besten Kondensatoren der Welt zu bauen. Im Gegenzug setzt es voll auf die Qualität von Comet: Wer beispielsweise Anpassungsnetzwerke, sogenannte Matchboxen, an den Kunden liefern will, muss die Vakuumkondensatoren dafür künftig bei Comet einkaufen.

Der Einstieg in die Halbleiterindustrie

Der Kunde aus dem Silicon Valley läutet ein neues Zeitalter bei Comet ein. Die Halbleiterindustrie erfordert von VC eine Dynamik und Flexibilität, die man in Bern-Liebefeld bislang kaum kannte. Innert Kürze muss sich die Firma zum topmodernen Technologieunternehmen mausern. Technologie, Qualität und Produkte stimmen, an das neue Mindset hingegen muss man sich erst noch gewöhnen: “Vor allem an der Agilität und Schnelligkeit gegenüber Kundenwünschen mussten wir arbeiten”, sagt Walter Bigler. Und dann ist da noch die Sprache: Der neue Grosskunde prägt das Berner Unternehmen so stark, dass Englisch als zweite Unternehmenssprache Einzug bei VC hält.

Im Jahr 2000 schreibt die Vakuum-Kondensatoren AG mit 120 Mitarbeitenden einen Umsatz von rund CHF 30 Mio. – und plant bereits den nächsten Coup: eine Vorwärtsintegration, indem sie die Matchboxen, für die sie bislang die Kondensatoren liefert, selbst fertigt. Aus VC hat sich dank dem Einstieg in den Halbleitermarkt die heutige Division Plasma Control Technologies entwickelt, die mittels Hochfrequenztechnologie unter anderem die Produktion von Microchips und Touchscreens ermöglicht – ein Millionengeschäft.

Gut, ist die Berliner Mauer gefallen.